«Weg von Lippenbekenntnissen»

Noch immer müssen Mütter, Väter und Alleinerziehende beim Wiedereinstieg viele Hürden überwinden. Wie Firmen Eltern beim Neustart unterstützen können, erklären Führungscoach Monika Keller von «3C Keller» und Job Coach Carsten Sudhoff von «Newcareer» von Rundstedt.

Ein Text von Christine Bachmann, stellvertretende Chefredaktorin von HR Today

«Der ‹Sense of Urgency› ist noch nicht erreicht», konstatiert Job Coach Carsten Sudhoff von «Newcareer» von Rundstedt mit Bedauern. «Erst wenn Unternehmen nicht mehr genügend Fachkräfte rekrutieren können, verbessern sich die Wiedereinstiegschancen von Müttern und Vätern.» Zwar gehöre es in Unternehmen mittlerweile zum guten Ton, flexible Arbeitsmodelle anzubieten, sich auf Work 4.0 zu trimmen und Wiedereinsteigende mit offenen Armen zu empfangen. Nicht aber bei der überwiegenden Mehrheit: «Stellensuchende können sich nicht auf die Versprechen der Unternehmen verlassen.»

Dass Firmen Wiedereinsteigende nur zurück­haltend beschäftigen, liege nicht an der ­elterlichen Verantwortung, sondern vielmehr an der fehlenden Berufserfahrung und an allfälligen Wissenslücken, erklärt Sudhoff. Das gilt jedoch nicht für alle «Ausgestiegenen»: «Hat jemand nur ein bis drei Jahre nicht gearbeitet, dürfte es keine grösseren Probleme geben.» Sei jemand der Berufswelt  aber  über fünf Jahre fern­geblieben, werde ein Wiedereinstieg schwierig. «Unabhängig davon, ob jemand Single, Mutter, Vater oder Alleinerziehende ist.»

Chancen, nicht Risiken

Wiedereinsteigende ausgeklammert, haben Arbeitgebende gemäss Job Coach Carsten Sudhoff ein recht grosses Verständnis für Eltern, zeigen Umsicht und bemühen sich um ehrliche Unterstützung. Bei Kinderlosen verschwände dieses Verständnis dagegen immer mehr. Das zeige sich am Arbeitsplatz, im öffentlichen Leben sowie im privaten Umfeld. «Arbeitskollegen machen eher Druck als Führungs- oder HR-Fachkräfte», so sein Fazit.

Wenig Verständnis für diese gesellschaftliche Entwicklung hat Führungscoach Monika Keller von «3C Keller»: «Mütter und Väter sind eine Bereicherung, kein Risiko. Sie sind meist sehr engagiert, enorm kreativ und widerstands­fähig.» Zudem meisterten sie Krisen besser. «Nichts bringt sie so schnell aus dem Lot: Sie können mit Unsicherheiten umgehen. Dazu bringen sie andere Sichtweisen ein.» Monika Keller weiss, wovon sie spricht. Sie selbst arbeitete von 2008 bis 2011 als Alleinerziehende Teilzeit in einer leitenden Position, bevor sie als Senior Project Manager in Teilzeit fast zehn Jahre strategische Projekte für eine internationale Firma leitete. Während dieser Zeit änderte sie ihren Führungsstil: «Ich habe meinen Mitarbeitenden und den Projektteams mehr zugetraut, ihnen Verantwortung übergeben, sie animiert, mitzudenken, und zudem die Notwendigkeit vieler Sitzungen hinterfragt. Micro-Management hat keinen Platz, wenn man mit limitierten Ressourcen vorankommen will.»

Flexibilität und Verständnis

Der berufliche Wiedereinstieg funktioniert, wenn die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden, meint Carsten Sudhoff. Väter und Mütter, aber auch Alleinerziehende müssten sich im Klaren sein, wie sie sich privat organisieren, bevor sie sich bewerben. Erst danach mache eine berufliche Standortbestimmung und eine Marktpositionierung Sinn. «Das anvisierte Berufsziel muss aber auch realistisch sein», sagt Sudhoff.

Nicht nur Arbeitnehmende, auch Unternehmen müssen Anstrengungen zum Wiedereinstieg unternehmen: «Arbeitgebende sollten Wiedereinsteigende, Mütter, Väter oder Alleinerziehende viel öfters fragen, was sie brauchen, um ihren Berufsalltag zu bewältigen. Viele gut gemeinte Angebote entsprechen nämlich nicht der Lebenswelt der Betroffenen.» Während einige Arbeit­nehmende das Büro um 16 Uhr verlassen wollen, um abends weiterzuarbeiten, bevorzugen andere ein Jahresarbeitszeitmodell, um situativ mehr oder weniger zu arbeiten und Überstunden zu kom­pensieren.

Ein Erfolgsfaktor bei der Wiedereingliederung sei auch das Jobsharing. «Gut ausgebildete Frauen können so höher qualifizierte Jobs oder ­Führungsaufgaben übernehmen, die ihren ­Qualifikationen entsprechen.» Das käme der Altersvorsorge ebenso zugute, da Frauen mit höherem Lohn Pensionskassenlücken füllen können.

 

«Ungenutzte Talentpools ausschöpfen»

Nur wenige Unternehmen bieten Wiedereinstiegsprogramme und verzichten damit auf wertvolles Fachwissen. Evelin Bermudez, Die Präsidentin des Vereins «CRN – Companies & Returnships Network», setzt sich dafür ein, dass Arbeitgebende gerade in Zeiten des Fachkräftemangels diese Talentpools für sich nutzen.

Warum sollten Arbeitgebende Müttern und Vätern eine Chance geben?
Evelin Bermudez: Für Arbeitgebende wird es immer schwieriger, ausreichend qualifizierte Mitarbeitende einzustellen. Besonders davon betroffen sind KMU. Ein Problem, dass sich durch die demografische Entwicklung noch verstärkt. Mit der Erschliessung des Arbeitspotenzials von Wiedereinsteigenden können Arbeitgebende dieser Entwicklung jedoch begegnen. Die systematische Wiedereingliederung  dieser Frauen und Männer ist ein Gewinn für die Wirtschaft, die Unternehmen und den Einzelnen.

Wie unterstützen Sie Arbeitgebende?
Die grössten Hürden sind die negative Wahr­nehmung von Karrierelücken, das fehlende Vertrauen in Mitarbeitende und mangelnde flexible Arbeitsmöglichkeiten. Deshalb wollen wir das Bewusstsein der Arbeitgebenden für den Wert des ungenutzten Talentpools der Wiedereinsteigenden schärfen: Konkret zeigen wir, wie wichtig flexible Arbeitsmodelle sind, und bringen ­Unternehmen dazu, ihre Rekrutierungspraktiken anzupassen. Bewerbungen von Frauen und Männern mit Lücken im Lebenslauf und nichtlinearen Karriereverläufen sollten nicht mehr aus dem Selektionsprozess herausfallen.

Konkret?
An Konferenzen organisieren wir  informelle Treffen zwischen Arbeitgebenden und Wiedereinsteigenden. Diese dienen beiden Seiten dazu, über Wiedereinstiegsprogramme zu diskutieren, Informationen auszutauschen und sich gegenseitig kennenzulernen. Ausserdem veranstalten wir Wiedereinstiegsmessen, machen Umfragen und Studien zu den Bedürfnissen von Wiedereinsteigenden, ihren Präferenzen und Qualifikationen. Zudem initiieren wir verschiedene Kampagnen. Etwa eine unternehmensübergreifende Lerninitiative, mit der Firmen auf innovative Weise Arbeitnehmenden den beruflichen Wiedereinstieg ermöglichen. 2022 gehen wir ausserdem ­strategische Allianzen mit verschiedenen Organisationen ein, die erschwingliche Weiter- und Neuqualifizierungsprogramme für Berufsrückkehrende anbieten.

Verein «CRN – Companies & Returnships Network»

Trotz des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels nutzen in der Schweiz nur wenige Organisationen Programme zum Karrierewiedereinstieg. Aus einem Projekt des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann und der Hochschule Luzern entstand 2020 der Verein «CRN – Companies & Returnships Network». Dieser soll Wiedereinstiegsprogramme bei Arbeitgebenden bekannt machen und die Anstellungschancen von Wiedereinsteigenden erhöhen. Innerhalb des CRN-Netzwerks lernen Arbeitgebende und arbeitgebernahe Organisationen voneinander, bilden Netzwerke und profitieren von verschiedenen Analysen oder Studien und finden pragmatische Wege, um Wiedereinstiegsprogramme  für Frauen und Männer zu schaffen.

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